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Leben ohne Streit und mit wertschätzender Kommunikation

In einer Familie mit einem herausfordernden Kind geht es oft sehr turbulent zu. Kinder mit AD(H)S bringen einfach oft MEHR besondere Verhaltensweisen mit als viele andere Kinder.

 

Es kann von so vielem "MEHR" sein:

  • Mehr an eigenen Ideen und intensiven Bedürfnissen
  • Mehr Wut
  • Mehr Impulsivität
  • Mehr intensive Gefühle
  • Mehr Lautstärke
  • Mehr Unruhe
  • Mehr Freude
  • Mehr Reden
  • Mehr Bedürfnisse
  • Mehr Opposition
  • Mehr Unsicherheit
  • Mehr besondere Fähigkeiten

Das MEHR an den zum Teil sehr herausfordernden, intensiven Verhaltensweisen kann auf Dauer ganz schön anstrengend werden und an den Nerven zehren.

 

Es kann passieren, dass der Umgangston in der Familie von Streit, Vorwürfen, Resignation, Manipulation, Verurteilungen oder Bestechungen geprägt ist.

Ein verletzender Umgangston schleicht sich meist ganz langsam, ungewollt und unbewußt ein. Streit, negative Emotionen und Stress nehmen zu.

 

So kann sich schnell ein Kreislauf aus Vorwürfen, Wut und Streit entwickeln:

 

Die gute Nachricht: So ein Kreislauf kann mit einer Prise Gelassenheit, Humor und einer wertschätzenden (gewaltfreien) Kommunikation relativ einfach durchbrochen werden. 

 

"Gewaltfrei heißt nicht nur Verzicht auf Gewalt und Widerstand, heißt auch nicht etwa die andere Wange hinhalten.

 

Gewaltfrei ist eine viel schwierigere Aufgabe, nämlich Verständnis und Einfühlung in die Ängste, die Unwissenheit, Hilflosigkeit und Unsicherheit der Menschen und Faktoren, die gewaltvolles Handeln hervorrufen."

 

(Mahatma Gandhi)

 

Das Kind soll aber....

 

Wir sind daran gewöhnt, vor allem auf die schwierigen Verhaltensweisen des Kindes zu gucken und diese dann möglichst schnell verändern zu wollen. Förderung, Nachhilfe, Therapien, Konsequenzen, Belohnungen, Strafen,... Ein buntes Potpourri an Maßnahmen steht uns Eltern zur Verfügung, DAMIT DAS KIND SICH BITTE ENDLICH ÄNDERT.

 

Doch, sorry, das reicht einfach nicht. Was wirklich gut funktioniert, um langfristig eine stabile und gesunde Beziehung zu unseren Kindern aufbauen zu können ist, wenn wir als Eltern

  • an der eigenen inneren Einstellung anfangen zu arbeiten,
  • positive Kommunikationsstrategien in die Sprache integrieren und
  • einen gelassenen Umgang mit (erst einmal) unerwünschten Gefühlen entwickeln.

 

Dabei kann es vorher echt hilfreich sein, die eigene Gefühlswelt und emotionalen Reaktionen verstehen und aushalten zu lernen.

 

Die Beziehung zum Kind kann spürbar verbessert werden, wenn wir Erwachsenen die Verantwortung übernehmen und darüberhinaus aus Bewertungen und Verurteilungen aussteigen.

 

Zu der positiven Kommunikation gilt ganz klar, auf die Stärken des Kindes zu achten, diese hervorzuheben, festzuhalten und dem Kind mit Wertschätzung zu begegnen. Klar, auf die Stärken zu gucken ist ganz, ganz wichtig, um eine positive Beziehung leben zu können.

 

Die große Frage ist doch, warum verhält sich mein Kind so herausfordernd? Was steckt hinter diesem Verhalten?

  • Kann es vielleicht sein, dass dieses - oft hochsensible - Kind einfach große Bedürfnisse hat, die mittlerweile kaum mehr richtig erkannt werden?
  • Kann es sein, dass es durch ein "MEHR an Verhaltensweisen" auf sich aufmerksam machen möchte?
  • Dass es nach Anerkennung, Liebe und Aufmerksamkeit schreit?
  • Kann es sein, dass auch wir Eltern ständig in einem Strudel von eigenen unerfüllten Bedürfnissen den Alltag meistern müssen?
  • Kann es sein, dass unsere AD(H)S-Kinder - und auch Eltern - oft starke Gefühle empfinden und es eine Chance darstellen kann, diese Gefühle verstehen und akzeptieren zu lernen?

Es ist wichtig, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein (z.B. Ruhe, Schlaf, Nahrung, Frieden,...), aber auch wahrzunehmen, dass das Kind in schwierigen Situationen ebenfalls ein gleichberechtigtes Bedürfnis hat (z.B. Anerkennung, Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Nahrung, Unterhaltung,...).

 

In Stresssituationen wird vom Kind - wie wohl von allen Menschen - oft eine Strategie zur Bedürfniserfüllung gewählt, die sogar zu noch mehr Stress führen kann. Auch, wenn diese Strategie nicht logisch oder zielführend erscheint - wie z.B. Wut, Zerstörung, Verletzung, Beleidigungen - ist dies genau in dem Moment für das Kind das einzig denkbare bzw. greifbare Handlungsmuster.

 

WICHTIG: Das Kind kann gerade nicht anders. Die Reaktion / das Verhalten hat NICHTS MIT DEM GEGENÜBER ZU TUN, sondern mit der Not, keine andere Handlungsoption abgreifen zu können.

 

Wer sich einen wertschätzenden Umgangston im Alltag, mehr Frieden, Liebe und eine gute Atmosphäre wünscht, der kann dies mit der Bereitschaft an sich zu arbeiten tatsächlich erreichen: Mit Gelassenheit, Achtsamkeit und bewußtem Betrachten von Konfliktsituationen kann die Kommunikation in der Familie auf neue Beine gestellt werden.

 

Auf Basis von Erkenntnissen aus der "Gewaltfreien Kommunikation (GFK)" und Erfahrungen der AD(H)S-Selbsthilfe ist folgender Prozess einer positiven Kommunikation entstanden (siehe auch PDF-Anhang):

 

 

In vier Schritten zum Ziel der gewaltfreien, wertschätzenden Kommunikation

 

1. Bevor gesprochen, geschimpft, gefordert, gehandelt wird: Situation beobachten!

Worum geht es genau in dieser Situation. Atmen, ruhig bleiben.

 

2. Welche Gefühle sind im Spiel? Wut? Enttäuschung? Frust?.....

Wie fühlt sich das Kind? Wie fühlt sich Mutter, Vater oder Geschwisterkind?

 

3. Welche Bedürfnisse könnten hinter den Gefühlen liegen?

Was braucht das Kind gerade? Was braucht Mutter oder Vater in diesem Moment?

Aufmerksamkeit? Zeit für Spiel? Bewegung? Ruhe? Essen?....

 

4. Nach der Situationsanalyse kann gesprochen werden. Wertschätzend.

Friedliche Lösungen im Fokus. Bitten und Bedürfnisse begründen

 

Wichtig:

  • Gegenüber kann auch mit NEIN antworten. Das ist ein JA für das eigene Bedürfnisse.
  • Kind mit ADHS benötigt oft mehr Zeit bis Worte im Gehirn angekommen sind.
  • Alternativen anbieten
  • Signalisieren, dass Bedürfnisse des Kindes gesehen wurdern. Eigene Bedürfnisse bei der Bitte mit integrieren.
  • Ggf. Kind die natürlichen Konsequenzen selber tragen lassen (kaltes Essen, kalte Füße, alleine Zähne putzen,...)
Positive Kommunikation in Familie mit ADHS
Ein achtsamer Weg in vier Schritten zu mehr Anerkennung, Wertschätzung, Freude und Selbstbestimmtheit in der Familie. Darstellung: Imke Schleking, AD(H)S-Selbsthilfegruppe Hennef, Quelle: GFK-Woche "Gewaltfreie Kommunikation" vom 20. bis 24. Mai 2019 von GFK-Coach Heike Spatz.
Wertschätzende Kommunikation_fmadhs.pdf
PDF-Dokument [208.5 KB]
Beispiele

Yes: Zugewandt formulierte Bitte bzw. wertschätzende Aufforderung

No: Anweisung/Forderung

(Befehlston, Gegenüber hat "keine Chance")

Kind soll Jacke aufhängen "Bitte häng deine Jacke jetzt sofort auf. Ich fühle mich nicht wohl, wenn alles auf dem Boden liegt."         "Häng deine Jacke auf!"
Kind soll ins Bett gehen "Es ist jetzt die Zubettgehzeit erreicht. Bitte geh jetzt ins Bett und bleib liegen. Morgen müssen wir alle früh aufstehen und ich brauche auch noch etwas Ruhe."         "Geh ins Bett!"
Kind soll zuhören "Mir ist es wichtig, dass du mir jetzt zuhörst. Schau mich bitte an, damit ich weiß, ob du mir zuhörst."         "Hör mir jetzt zu!"

Eine wertschätzende, verständliche Bitte bzw. eine klar formulierte, zugewandte Aufforderung - beide Strategien können in der Kommunikation mit einem AD(H)S-Kind zum Ziel führen. Wichtig bei jeder gewählten Strategie ist:

  • Klarheit, wertschätzende Konsequenz, Verlässlichkeit in Kommunikation und Handlung!
  • Das Kind benötigt oft etwas Zeit bis es die Aufforderung versteht und umsetzen kann.
  • Das Kind hat eigene Bedürfnisse: Diese sollten ernst genommen, zumindest wahrgenommen und abgewogen werden.
  • Positiv auf sich und das Kind zu gucken, auch wenn negative Emotionen und unerfüllte Bedürfnisse gerade mal dominieren.
  • Eltern handeln aus Fürsorge und wollen das Beste für ihr Kind.
  • Ein nein zu einer Aufforderung der Eltern nicht persönlich nehmen.

 

Mit einer kurzen, klar formulierten, verständlichen Bitte besteht eine sehr viel größere Chancedass, das Kind reagiert. Viel mehr als mit einer emotional aufgeheizten (Auf-)Forderung im Befehlston.

In diesem Prozess hilft Achtsamkeit:

Es lohnt sich in Konfliktsituation mit dem Kind inne zu halten, tief einzuatmen und mit sich selber in den Dialog zu treten. Das führt zu einer gesunden Distanz zum Konflikt, nimmt den ersten Stress raus.

 

Beispiel für einen inneren Dialog - Empathie für sich selbst:

"Ich merke, dass ich ärgerlich werde. Das tut mir leid, ich verzeihe mir den Ärger, denn dieser hat einen Grund. Ich habe das Bedürfniss nach Ruhe und Gemeinschaft, statt dessen streiten sich meine Kinder laut. Ich bin stolz auf mich und auf die Erkenntnis, dass mein Ärger einen guten Grund hat. Danke, dass ich das erkennen darf und meinen Ärger nicht bei den Kindern lassen muss."

 

Ist ein Konflikt besser verlaufen als sonst und nicht eskaliert, dann ist das ein echter Grund stolz auf sich zu sein! Und stolz auf das Kind! Je öfter diese INNERE HALTUNG zum Einsatz kommt, um so entspannter wird der Alltag in der Familie.

 

Bitte bedenken Sie:

Falls das Kind dennoch nicht wie gewünscht reagiert, dann handelt es nach dem Konzept der "Gewaltfreien Kommunikation" mit seiner ihm zur Verfügung stehenden bestmöglichen Strategie, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn es mit Absicht nicht reagiert, um sein Gegenüber zu testen, dann geschieht auch dies immer aufgrund eines Bedürfnisses: Zum Beispiel nach Anerkennung und Liebe. Ein neuer Blickwinkel und Erziehungsstil lohnt sich: Sobald nicht mehr mit Vorwürfen und Strafe reagiert wird, werden auch provozierende Verhaltensmuster nicht mehr notwendig sein.

 

... und wenn es mal nicht klappt? Wenn doch die Nerven durchgehen und es zu Streit und Vorwürfen kommt?

 

Das wird bestimmt immer wieder mal passieren, denn der Weg der positiven, wertschätzenden Kommunikation ist zu Beginn neu und unbekannt. Hürden und Rückschläge gehören dazu, die man sich unbedingt verzeihen sollte. Mit jeder Konfliktsituation festigt sich die positive Kommunikationsstrategie und der Alltag wird stressfreier ablaufen.

 

Podcast zum Thema "Gewaltfreie Kommunikation"

 

Im Podcast Interview von Anna Maria Sanders erzählt Imke Schleking über die Gewaltfreie Kommunikation bei AD(H)S.

 

Interesse? Dann einfach hier klicken und direkt reinhören.

 

Coachingangebote und Elterntrainings

 

Elternberatung nach der GFK-Methode (entwickelt von Marshall B. Rosenberg) wird z.B. vom Psychologen, Förderzentren und Kinderschutzbund angeboten.

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