Was ist das, Wut?
Wut ist ein starkes Gefühl. Eckart Tolle (Spiritueller Lehrer und Autor des Buches "Jetzt! Die Kraft der Gegenwart") sagt, dass "Wut eine negative Energie darstellt, die sich im Körper breit macht. Wut ist eine Reaktion des Körpers auf eine Flut von bedrohlichen, feindlichen Gedanken." Diese Gedanken bringen den Körper dazu sich anzuspannen, das führt zu Angstreaktionen, Abwehr- bzw. Schutzhaltungen.
Das zu verstehen, kann sehr entlasten. Es ist gut zu wissen, dass Wut keine Reaktion ist, um jemanden mit Absicht zu verletzen, sondern eine Reaktion, weil der Körper gerade von einer starken Energie "durchflutet wird". Eine Energie, die z.B. einer Angst, Unsicherheit oder Überforderung entspringt. Je öfter eine Situation entsteht, die scheinbar Ursache für Wut ist, umso stärker ausgeprägt wird der Körper von diesem Gefühl beherrscht. Die Gedanken kreisen regelrecht um diese "bedrohlichen" Situationen, der Abwehrmechanismus wird immer schneller angeschaltet. Die Abwehrreaktion wird immer extremer.
Und nun stelle man sich einen kleinen Menschen mit AD(H)S vor. Einen Menschen, der häufig in Zustände wie
gerät. Der diese Zustände gedanklich einsortieren muss, obwohl es sooo schwerfällt, Gedanken zu strukturieren, zwischen wichtig und unwichtig zu unterscheiden.
Ist es wirklich verwunderlich, dass dieses Kind mit stark impulsiven Verhaltensweisen wie Wut, Trotz oder Opposition reagiert?
Was steckt nun eigentlich hinter einem so starken Gefühl wie Wut, Trotz, Aggression?
Wut ist ein wichtiges Gefühl. Eine starkes Gefühl, das auf ein nicht erfülltes Bedürfnis hinweist. Dies kann z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung, Aufmerksamkeit oder Verständnis sein.
Jetzt kann man sagen, dass das Kind ja auch mit einer zielführenden, positiven Strategie versuchen könnte, sein Bedürfnis erfüllt zu bekommen.
Doch AD(H)S-Kinder haben, neben vielen anderen Stärken, die ausgeprägte Fähigkeit, Gefühle besonders stark und authentisch fühlen und ausdrücken zu können. Da ist die Strategie, auf das erste auftauchende Gefühl zu reagieren, die am leichtesten abrufbare Handlungsoption. So eine Strategie kann entsprechend anstrengend sein: Laut werden, brüllen, Sachen werfen, beleidigen, schlagen...
Häufig in Wutsituationen des Kindes verwendete Erziehungsmethoden können sein:
Wenn Eltern so reagieren, dann hat das jedoch einen guten Grund.
Solche Handlungsoptionen sind seit Generationen tief im Erziehungsverhalten verwurzelt. Denn die Erziehungsmethoden wurden über Jahrzehnte - mit bestem Wissen und Gewissen - von Eltern und Großeltern weitergegeben. Früher mussten die Menschen anders als heute funktionieren, um in der Gesellschaft erfolgreich sein zu können. Autoritäres, angepasstes und regelkonformes Verhalten waren insbesondere in Zeiten von Krieg und Not eine "gute" Strategie.
Doch heute leben wir in einer schnelllebigen Welt voller Informationen, Vielfältigkeit, ständiger Entwicklungen und (glücklicherweise in Deutschland) Meinungsfreiheit. Diese Welt erwartet andere Fähigkeiten von den Menschen als vor 50 Jahren. Darum ist es sinnvoll, sich mit einem anderen Erziehungsstil auseinanderzusetzen.
Wobei sicher gesagt werden kann, dass Kinder mit AD(H)S keine antiautoritäre Erziehung benötigen, sondern einen klaren, respektvollen und verlässlichen Umgang!
Wie das bitte in stressigen Momenten gehen soll?
Das ist eine gute Frage. Schließlich müssen oft alte Muster über Bord geschmissen und ein neuer Weg eingeschlagen werden. Doch die gute Nachricht ist: Das kann mit etwas Geduld und Akzeptanz (sich selber und der gesamten Situation gegenüber) geschafft werden!
Umgang mit Wut
Einen entspannten Umgang mit massiver Wut, Beleidigungen, Verletzungen und Opposition zu finden, das ist selten einfach.
Eltern von Kindern mit AD(H)S-Verhaltensweisen stehen dabei oft vor großen Herausforderungen, die aber mit einer positiven Grundhaltung und Strategie bewältigt werden können.
Vielleicht kommen Ihnen diese Reaktionen bekannt vor?
Solche Reaktionen sind natürlich in keiner Weise zielführend, aber sie stellen für das Kind die gerade einzig denkbare Verhaltensweise dar, welche in dem Moment möglich ist. Heftige Reaktionen eines Kindes sind in der Regel eine Strategie, um ein tiefes Bedürfnis erfüllt zu bekommen. Das mag z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung, Liebe oder Abwechslung sein.
Und ehrlich gesagt, unter uns...
Wer würde nicht in ständiger Anspannung leben, empfindlich, impulsiv und auch mal wütend reagieren, wenn er ständig hören müsste: "Sei nicht so laut", "Jetzt sitz doch mal still", "Sei leise und rede nicht ständig dazwischen", "Streng dich doch mal an" etc. Dazu kommen vielleicht noch Einflüsse wie schulische Überforderung, soziale Ausgrenzung oder Beleidigungen durch andere Kinder. Damit gelassen und selbstbewusst umgehen zu können, ist schon sehr anspruchsvoll. Vor allem für ein Kind.
Werden also Bedürfnisse nicht erfüllt, dann entsteht daraus unmittelbar ein Gefühl. Das Gefühl führt zu einer Reaktion. Kinder mit AD(H)S können ihre Impulse schwer steuern. Ein Gedanke schießt in den Kopf, dieser muss meist sofort umgesetzt werden. Jetzt kommen Mama, Papa, Geschwister - egal wer - und bremsen den akuten Impuls aus. Gehen möglicherweise nicht auf das gerade sooooo dringende Bedürfnis ein. Was passiert? Es entsteht eine Sorge, Angst, Verzweiflung und daraus resultiert ganz schnell eine wütende, unbeherrschte Reaktion.
So, und nun? Jetzt denkt man sich als Eltern berechtigterweise: "Ich habe doch auch Bedürfnisse und Gefühle! Was ist mit denen???"
Genau, das stimmt. Auch Eltern haben Bedürfnisse. Sei es z.B. nach Ruhe, Entspannung, Liebe, Frieden oder nach Fürsorge. Doch gut zu wissen: Auch wenn zwei dem Anschein nach unterschiedliche Bedürfnisse aufeinanderprallen, kann die Situation für alle Seiten zufriedenstellend gemeistert werden.
Grundsätzlich wichtig zu wissen ist, dass wenn mit Wut reagiert wird, sich diese schnell auf das Gegenüber übertragen kann.
Also: Entsteht bei dem Kind eine Wut, dann reagiert das Gegenüber ebenfalls leicht mit Wut. Ein intensives Gefühl kann regelrecht überspringen. Reagiert man als Eltern wütend, genervt, gestresst, dann überträgt sich auch das sehr leicht auf das Kind. Man hängt schnell fest in einem Teufelskreis.
Doch wie kann mit Wut und negativen Emotionen umgegangen werden?
Um Wut, Aggression, Beleidigungen aushalten zu können, muss man schon sehr gelassen bleiben können. Denn dieses Verhalten kann sehr herausfordernd, anstrengend und manchmal auch überfordernd sein.
Mit einem positiven Handlungskonzept und einer klaren inneren Haltung lassen sich extreme Verhaltensweisen aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse spürbar stressfreier begegnen.
Wertschätzende Kommunikation ist machbar, wenn es geschafft wird:
Übrigens: Jeder, der sich die Zeit nimmt, diese Seite zu lesen, darf stolz auf sich sein!
Alleine die konstruktive Auseinandersetzung und der Wille etwas am Umgang mit dem besonders herausfordernden Kind zu verändern, bedeutet schon ein großes Stück des Weges zur wertschätzenden Kommunikation und damit zu einem stressfreieren Alltag.
Handlungsoption für einen positiven Umgang mit negativen Gefühlsausbrüchen
Wutsituationen gelassen begegnen:
Der erste große Schritt ist getan, wenn bei Gefühlsausbrüchen und Wut des Kindes zugewandt reagiert und Wut erlaubt wird.
Hier können Sie einen WUT-NOTFALLPLAN herunterladen.
Dieser Notfallplan stellt kein Zaubermittel dar, durch den alle Wutausbrüche für immer sofort verschwinden. Aber diese Anregungen können hoffentlich etwas sensibilisieren und helfen, mit der Zeit einen gelassenen Umgang zu finden.
Wie kann Wutbegleitung im Alltag funktionieren?
Ein Beispiel aus der "Gewaltfreien Kommunikation":
Kind: "Mama/Papa, komm sofort her. Ich will dir etwas zeigen!"
Eltern: "Nein, ich koche gerade. Ich komme gleich."
Kind: Bekommt Wutanfall und schreit los. "Ich will aber, dass du jetzt sofort kommst." Rennt in die Küche und schmeisst einen Topf auf den Boden.
Eltern: Ruhig bleiben, tief atmen. Liebevoll das Kind betrachten. Wiederholung, kurz, knapp, klar: "Du willst, dass ich jetzt sofort zu dir komme? Du willst, dass ich mein Kochen unterbreche und JETZT SOFORT ZU DIR KOMME?"
Kind: Reagiert überrascht, die Worte gelangen durch die kurze, klare Wiederholung auf Augenhöhe ins Gehirn. Eventuell fängt es sogar an zu lachen und merkt, dass seine Reaktion nicht wirklich zielführend war. Eventuell nimmt es sogar den Elternteil in den Arm.
Eltern: "Ich mache meine Sache hier eben fertig und dann komme ich zu dir. Versprochen."
Ergebnis:
Kind hat gelernt, die Wut begleitet zu durchleben.
Die Wut kann von alleine wieder gehen, musste nicht unterdrückt oder negativ beendet werden.
Es ist wertvoll, wenn der eigene innere Kritiker bei den ersten empathischen Wutbegleitungen auf lautlos gestellt wird, denn die empathische Begleitung klappt bestimmt nicht unbedingt immer sofort wie erhofft. Als Hilfestellung wird empfohlen, die "ersten Versuche" nicht in der Öffentlichkeit zu starten, sondern eine gewohnte und geborgene Umgebung zu wählen.
Geduld und Zuversicht ist wichtig!
Es wird immer wieder Situationen geben, in denen man als Elternteil müde, gestresst oder mit Sorgen belastet ist. Nicht immer klappt die wertschätzende Kommunikation in herausfordernden Momenten. Aber jedes Mal, wenn es ohne Streit und Eskalation klappt, ist ein wirklich großer Erfolg. Jede positive Erfahrung führt zu Vertrauen und mehr Sicherheit.
Quellen: Dieser empathische Ansatz der positiven, wertschätzenden Kommunikation basiert auf dem Konzept der "Gewaltfreien Kommunikation (GFK)". Heike Spatz, 2019 sowie den Eltern-Tipps aus dem Blog Herzensglückskind von Andrea Schiefer.
"Wenn du hingegen wütend auf dein Kind wirst und schimpfst, erzeugst du in ihm nur noch mehr Widerstand, Trotz, Frust und Wut."
Zitat vom Elterncoachingteam StarkeKids
Eltern-Coaching Tipp:
Anleitungen und Tipps wie Wutanfälle beim Kind begleitet werden können, können auf www.starkekids.com/wutanfaelle nachgelesen werden.
Ratgeber-Tipp:
Der Online-Blog "Herzensglückskind" von Andrea Schiefer (Coach für "The Work of Byron Katie") beinhaltet realistische Situationsbeschreibungen sowie hilfreiche Tipps. Themen wie Umgang mit Wut, Kommunikation mit dem (eher jüngeren) Kind, Beschreibung von alltäglichen Situationen, Konfliktanalysen oder Entspannungsmethoden werden hier behandelt. Dieser Blog ist grundsätzlich kostenfrei. Bitte berücksichtigen: Weitere persönliche Beratungsleistungen und das "The Work-Training" sind kostenpflichtig.
Online-Elterntraining der AOK
"Das ADHS-Elterntraining hilft bei typischen Erziehungsproblemen. Besonders geeignet für hyperaktive und impulsive Kinder – mit oder ohne ADHS-Diagnose."* Im AOK-Elterntrainer werden über verschiedene Trainingsbereiche konkrete Hilfestellungen gegeben, wie Eltern mit schwierigen Situationen umgehen können. Videos und Erklärungen sind gut und verständlich aufgebaut. Den wissenschaftlichen Hintergrund liefert die Universitätsklinik Köln, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und JugendaltersProf. Dr. Dipl.-Psych. Manfred Döpfner, Dr. Dipl.-Psych. Stephanie Schürmann, Dr. med. Astrid Maroß, Dipl.-Psych. Alice von Welck
Link in den Bereich "Wutanfall" des AOK-Elterntrainings auf der Website der AOK.
*Quelle: https://adhs.aok.de/zum-adhs-elterntrainer/
Buch-Tipp:
Wilde Wut, wohin mit dir?
Autorinnen: Gertraude Spranger, Alea Meermädchen, Tabby Einhornfreundin
Ein Vorlesebuch über den Umgang mit Wut für Kinder ohne oder mit ADHS/Autismus und für ihre Eltern. Das Buch kann helfen, die eigene Wut verstehen und Strategien entwickeln zu können. Bestellbar über Buchhandel, z.B. bei der auf AD(H)S spezialisierten Pädagogischen KooperationspartnerBuchhandlung Dianna Künne.
Video-Tipp:
Wutanfälle bei Kindern? Erste Hilfe für Eltern
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